Max
Weber definiert �Charisma� wie folgt:
� �Charisma� soll eine als au�erallt�glich [�] geltende Qualit�t einer Pers�nlichkeit hei�en, um derentwillen sie als mit �bernat�rlichen oder �bermenschlichen oder zumindest spezifisch au�erallt�glichen, nicht jedem anderen zug�nglichen Kr�ften oder Eigenschaften [begabt] oder als gottgesandt oder als vorbildlich und deshalb als �F�hrer� gewertet wird. Wie die betreffende Qualit�t von irgendeinem ethischen, �sthetischen oder sonstigen Standpunkt aus �objektiv� richtig zu bewerten sein w�rde, ist nat�rlich dabei begrifflich v�llig gleichg�ltig: darauf allein, wie sie tats�chlich von charismatisch Beherrschten, den �Anh�ngern�, bewertet wird, kommt es an.�(1)
�Charisma�
war zun�chst ein paulinischer Begriff, der eine Gnadengabe bezeichnet, die dem
Menschen von Gott unmittelbar zuteil wurde. Charisma war hier � und wird
theologisch immer noch verstanden als � �eine auf das Heil in Christo
abzielende, nicht durch Sakramente institutionell vermittelte, vom Menschen her
nicht erzwingbare Einwirkung des Geistes Gottes auf den Glaubenden�.(2)
Der
Webersche Charisma-Begriff � zun�chst religionssoziologisch eingesetzt, dann
zur typologischen Kl�rung von Herrschaft allgemein verwendet � ist semantisch
weiter gefa�t, er zielt vor allem auf die
Wirkung der charismatischen Qualit�t, l�st sich aber im Grunde nie von
seinem theologischen Ursprung. Gerade von daher aber ist er (in durchaus
kritischem Zugriff und unter Einbezug mancher Weiterentwicklungen durch die
Forschung(3)) f�r Analysen im Bereich der vita religiosa heuristisch
besonders fruchtbar.
Obgleich
sich Charisma und Institution eigentlich ausschlie�en oder sich zumindest in
einem normativen Spannungsfeld begegnen(4), scheint Charisma eine der
wichtigsten Garantien f�r die Fortentwicklung der vita religiosa oder
n�herhin f�r die Entstehung neuer religi�ser Gemeinschaften wie aber auch f�r
deren Reform und Erneuerung gewesen zu sein. Vita religiosa ist in ihrer
Geschichte trotz (oder vielleicht gerade wegen) ihrer Tendenz zur hoch
verdichteten Institutionalit�t immer wieder mit Antrieben durch
Einzelpers�nlichkeiten von hohem Eigenwillen und starker F�hrungsqualit�t
konfrontiert worden. Solche Pers�nlichkeiten waren durch ihre Lebensweise
k�rperlich erfahrbares Handlungsmuster einer um sie gescharten Gemeinschaft. Da
sie sich dabei prinzipiell �ber bestehende Traditionen hinwegsetzten und Normen
pers�nlichen Zuschnitts vorgaben, f�hrten sie zu innovativen Ausgestaltungen
der vita religiosa ebenso wie auch zu fundamentalen Gef�hrdungen (z.B.
H�resieverdacht).
Eine
genauere und insbesondere vergleichende
Analyse solcherart charismatischen Wirkens in der vita religiosa des Mittelalters
ist noch Forschungsaufgabe. Viel zu wenig kennt man bislang die entsprechenden
Rahmenbedingungen, Entfaltungsformen und Mechanismen.
Die
Tagung stellt in weiten Teilen ihres Programms charismatische Pers�nlichkeiten
in den Vordergrund. Dennoch sollten diese Pers�nlichkeiten nicht im biographischen Sinne pr�sentiert
werden, vielmehr sollten sie als Muster dienen, anhand derer sich
charismatische Wirkungsm�glichkeiten systematisch erschlie�en lassen. Es geht
bei der Tagung also nicht um Personengeschichten, sondern um ein Spektrum
normativer Interaktionsformen, die im besonderen Ma�e vom personalen Moment
bestimmt sind (dies gilt im Negativen auch hinsichtlich des �Amtscharismas�,
das sich nur aufrechterhalten l��t, wenn dessen charismatische Qualit�t von
[wie auch immer qualifizierten] Personen vertreten wird.)
Vor diesem Hintergrund seien nun einige Aspekte angef�hrt, die im Verlauf der Tagung n�her beleuchtet werden sollten. Sie erheben keinen Anspruch auf Vollst�ndigkeit, sind teilweise sehr stark verk�rzt und verstehen sich mehr als Fragen denn als Feststellungen:
1. Thesenhaft l��t sich in Gegen�berstellung festhalten:
a) Grundeigenschaften charismatischer F�hrung
-
Charismatische F�hrung
bedeutet prinzipiell einen �revolution�ren� Bruch mit Traditionen, mit
Gewohnheiten, mit institutionalisierten Regularien.
-
Charismatische
F�hrung ist unmethodisch.
-
Charismatische
F�hrung ist au�erallt�glich.
b) relevante Grundstrukturen der vita
religiosa
-
Die vita
religiosa als solche stellt zwar eine au�erallt�gliche Lebensf�hrung dar
(allein schon von daher, da� in ihr gem�� den consilia evangelica gelebt
wird, die im Unterschied zu den praecepta des Evangeliums nicht von
allen Christen befolgt werden m�ssen und k�nnen),
-
�aber sie bedeutet zugleich in spezifischer
Weise eine h�chst methodische, geregelte Lebensf�hrung,
-
�die sich zudem auf Gewohnheiten und
Traditionen st�tzt, von daher Verl��lichkeit gewinnt und sich auch gerade
dadurch legitimiert.
c) Vor diesem strukturellen Spannungsfeld zwischen charismatischer F�hrung und vita religiosa ergeben sich dann folgende, sehr grunds�tzliche Fragen:
-
Inwieweit kann vita
religiosa ohne Charisma auskommen?
-
Wieviel Charisma
braucht die vita religiosa und inwiefern braucht sie es?
-
Wieviel Charisma
vertr�gt die vita religiosa?
-
Wie lange ist
Charisma in der vita religiosa
auf Dauer zu stellen, bzw. wann verliert sie ihren unmethodischen Charakter
zugunsten von fest institutionalisierten Regularien (�Verallt�glichung des
Charismas� im Weberschen Sinne)?
2. Um Antworten auf diese Fragen zu finden, sollten insbesondere folgende zwei Komplexe durch historisch-empirische Untersuchungen n�her analysiert werden.
a)
�Charisma und Norm
-
Die vom
Charismatiker vertretenen Normen finden ihre Begr�ndung in einer
unhintergehbaren Instanz (im G�ttlichen / im Numinosen), zu welcher der
Charismatiker unmittelbaren Zugang besitzt [z. B. das �Der Herr selbst hat mir
offenbart �� des Franziskus).
-
Der Charismatiker
verfolgt eine Ausgrenzung seines Lebensmodells aus der Tradition, um in Form
einer �Botschaft� auf das �Wahre� zu weisen [z. B. die Ablehnung jeder
�berkommenen Regel durch Stephan von Muret: non est alia regula nisi
euangelium Christi]. In dieser Ausgrenzung kann durchaus etwas
Revolution�res liegen, das von den H�tern der Tradition m�glicherweise als
H�resie, zumindest als �Asoziales� eingesch�tzt wird [z.B. der symptomatische
Vorwurf Ivos v. Chartres gegen�ber bestimmten Eremitenverb�nden, sie lebten in
privatis locis proprio jure; die Vorw�rfe gegen�ber dem predigenden
Norbert v. Xanten zu dessen Anf�ngen].
-
Der Charismatiker
ist dabei die transzendente Verk�rperung der von ihm vertretenen Normen [Das Credebant
quidam adhaerentes ei fratres, sufficere ad salutem quod ab ore eius audirent,
ita ut neque ordine neque regula indigerent in der Vita Norberts von
Xanten]. Die Norm ist an sein Handeln (docere verbo et exemplo, sein
Wort, sein modellhaftes Vorleben, seine Performanz, seine Theatralik
[Franziskus!]), schlichtweg an seine Pr�senz [einschlie�lich seiner �pr�senten�
Abwesenheit � �Jesus in der W�ste� � Bruno v. K�ln in Kalabrien] gebunden.
-
Charismatische
Wahrheitsweisung ist prinzipiell im gleichen Grad verg�nglich, wie der K�rper
des Charismatikers verg�nglich ist [das �Quia vero breves dies hominis sunt�
et tamdiu humana magisteria vigent quamdiu preceptor vixerit aut presens fuerit
in der Vita des Stephan von Obazine].
-
�Um fortzudauern braucht die �Wahrheit� des
Charismatikers im besten Falle �Evangelisten�. Aus dem �Wort� mu� �Schrift�
werden [z. B. der Liber de doctrina des Stephan von Muret].
-
Um als Norm weiter
zu gelten, bedarf die Schrift institutioneller Formen, die durch Prozesse der
Transpersonalisierung gew�hnlich in ein Amtscharisma oder in einen
Konstitutionalismus m�nden, die Regelhaftigkeit besitzen und eine methodische
Lebensf�hrung verwirklichen lassen. Dies kann grunds�tzlich aber auch schon zu
Lebzeiten des Charismatikers geschehen [z. B. bei Norbert von Xanten, bei
Robert v. Arbrissel oder in ganz anderer Weise bei Franziskus] � gegen, aber
ebenso gut mit dessen Willen, so da� er gleichsam die �Verallt�glichung� seines
Charismas selbst initiiert (sogar mittels der eigenen Entcharismatisierung wie
z. B. bei Stephan von Obazine).
-
Oder das �Wort� wird
erneut durch Charismatiker (der �zweiten Generation�) aufgegriffen und gegen
die Institutionalisierungsprozesse zur Wahrheit des Ursprungs zur�ckgef�hrt [z.
B. Spiritualenbewegung im Franziskanertum].
b)
Charisma und
Gemeinschaftsbildung
-
Zwar ist (nach Max
Weber) der Charismatiker stets der Erste, der an die eigene Sendung glaubt,
dennoch bedarf er einer Gemeinschaft, die bereit ist, die von ihm als
�Botschaft� verk�ndeten �wahren� Werte anzuerkennen und auf die alten
traditionellen Werte zugunsten von neuen/erneuerten Lebenskonzepten zu
verzichten.
-
Der Charismatiker
mu� (gewollt oder ungewollt) in der Lage sein, einen Impuls f�r den Bedarf an
erneuerten Lebenskonzepten zu wecken. Das hei�t aber bemerkenswerterweise nicht
unbedingt, da� sein Trachten von vorneherein auf Gemeinschaftsbildung
ausgerichtet sein mu�.
-
Der Charismatiker
mu� insofern Macht (im Bourdieuschen Sinne eines �symbolischen Kapitals�) �ber
seine Gemeinschaft aus�ben, als er seine Autorit�t jenseits von Verstrickungen
ins Allt�gliche als Deutungsmacht des Grunds�tzlichen positioniert und sie
damit als alternativlos aufzeigt. Und er mu� ebenso alternativlos Macht in
einer schier �magischen� Weise aus�ben, welche Menschen spontan zu wandeln
vermag (Sermo ejus quasi ignis ardens ita audientium mentes accendit et
tanto amore inebriat ut � vite eorum morumque qualitas immutetur;
Vita des Stephan von Obazine, und z. B. Novizentum �berfl�ssig macht; siehe
fr�he Franziskaner) oder welche die Gemeinschaft im Banne einer selbst nie
erreichbaren Segnung h�lt (In cuius [sc. Norberts v. Xanten]
absentia fratribus Praemonstrati remanentibus innumeras antiquus hostis molitus
est insidias; Vita Norberts].
-
�ber die Fortdauer
der Geltungsanspr�che des Charismatikers selbst entscheidet die �Bew�hrung�,
die auf den Erfolg der charismatischen �Botschaft� fu�t und � wie auch immer
der Erfolg objektiv gesehen bestehen mag � sich in der Aufrechterhaltung einer
emotionalen Verbindung zwischen Charismatiker und seiner Gemeinschaft �u�ert (Sanctissime
pater, quamdiu tecum fuimus pro tuo amore Deus nobis praebuit necessaria, sed
post mortem tuam quomodo uiuere poerimus?; Vita des Stephan v. Muret).
-
Zwischen dem
Charismatiker und seiner Gemeinschaft kann es aber andererseits auch zur
Entfremdung, zu Konkurrenzen kommen; der Charismatiker kann/will sich
zur�ckziehen von seiner F�hrungsposition (nicht nur Franziskus, sondern schon
fr�her u.a. Bruno v. K�ln, Norbert v. Xanten, Stephan v. Obazine), will sich
zur�ckversetzen in die Zeit vor der Gemeinschaftsbildung (z.B. wiederholte Neuaufnahme
der Wanderpredigt durch Robert v. Arbrissel), (zur�ck-)fliehen in die
Einsamkeit.
(1)� Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, T�bingen 51972, S. 140.
(2) Lexikon f�r Theologie und Kirche, 21958, Bd. 2, Sp. 1025.
(3) Um nur einige Untersuchungen zu nennen: Stefan Breuer, Der archaische Staat. Zur Soziologie charismatischer Herrschaft, Berlin 1990; ders., Max Webers Herrschaftssoziologie, Frankfurt a. M./New York 1991; Michael N. Ebertz, Das Charisma des Gekreuzigten. Zur Soziologie der Jesusbewegung, T�bingen 1987 (darin Kap. 1: Elemente des Konzeptes der charismatischen Herrschaft); Winfried Gebhardt, Charisma als Lebensform. Zur Soziologie des alternativen Lebens, Berlin 1994; Andreas Kalyvas, Charismatic politics and the symbolic foundations of power in Max Weber, in: New German critique 85 (2002), S. 67-103; Wolfgang Schluchter, Die Entwicklung des okzidentalen Rationalismus. Eine Analyse von Max Webers Gesellschaftsgeschichte, T�bingen 1979; ders. (Hg.), Max Webers Sicht des okzidentalen Christentums. Interpretation und Kritik, Frankfurt a. M. 1988; G�nter Schmelzer, Religi�se Gruppen und sozialwissenschaftliche Typologie. M�glichkeiten der soziologischen Analyse religi�ser Orden, Berlin 1979; Constans Seyfarth, Alltag und Charisma bei Max Weber, in: Walter M. Sprondel/Richard Grathoff (Hgg.), Alfred Sch�tz und die Idee des Alltags in den Sozialwissenschaften, Stuttgart 1979, S. 155-177; Francesco Tuccari, Carisma e leadership nel pensiero di Max Weber, Milano 1991.
(4) �Es
ist klar, da� dieses pers�nliche Charisma mit den hierokratischen Anspr�chen
einer �Heilsanstalt�, welche den Weg zu Gott ihrerseits zu monopolisieren
beansprucht, [�] im letztlich unvereinbarem Widerspruch steht.�; Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S.
694. Zu diesem Spannungsfeld vgl. auch Peter von
Moos, Krise und Kritik der Institutionalit�t. Die mittelalterliche
Kirche als �Anstalt� und �Himmelreich auf Erden�, in: Gert Melville (Hg.), Institutionalit�t und Symbolisierung.
Verstetigungen kultureller Ordnungsmuster in Vergangenheit und Gegenwart, K�ln
2001, S. 293-340.